§ 323 ZPO und/oder § 767 ZPO?
§ 323 ZPO und/oder § 767 ZPO?

§ 323 ZPO und/oder § 767 ZPO?

Überlegungen zur richtigen Klagewahl (Teil 1-3)

Aufsatz, Deutsch, 15 Seiten

Autor: Dr. Eberhard Jüdt

Erscheinungsdatum: 2009

Quelle: FuR 2009 Heft 6, 7, 8


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Kennen Sie das auch, das beklemmende Gefühl, nicht genau zu wissen, welche Klageart Sie für den Mandanten erheben sollen und dann auch noch zu allem Überfluss feststellen müssen, dass die sich bietenden Alternativen sämtlich bei unterschiedlichen Gerichten geltend zu machen wären?

Wie ergeht es eigentlich Ihnen, wenn Sie sich bei Erstellung der Klage redlich Mühe gegeben, die Klage eingereicht und dann einen Dreizeiler zurückbekommen haben, wonach das Familiengericht Bedenken gegen seine Zuständigkeit habe und im Übrigen zur Zulässigkeit der gewählten Klageart vorgetragen werden möge?

Sicherlich haben Sie das auch schon erlebt:

Da kommt in Ihre Anwaltskanzlei ein Ihnen bislang unbekannter Herr, überreicht Ihnen einen Unterhaltsvergleich, der anlässlich seines Scheidungsverfahrens vor vielen Jahren beim Amtsgericht (sagen wir einmal in F) errichtet wurde, und berichtet Ihnen mit errötetem Kopf, der erkennbar nicht auf einen vorösterlichen Skiurlaub zurückzuführen ist, dass seine Ex sein Gehalt wegen rückständigen Unterhalts gepfändet habe. In einem beim Amtsgericht C beantragten und auch erlassenen PÜB habe sie sich als Pfändungsgläubigerin ausgegeben. Natürlich, so erklärt er, habe er den Unterhalt an seinen 17jährigen Sohn, der demnächst volljährig werde und früher im Haushalt der Mutter in B (Amtsgericht B) gewohnt habe, zuletzt nicht mehr gezahlt. Er habe nämlich erfahren, dass sein Sohn schon vor geraumer Zeit die Schule geschmissen, ihm aber gleichwohl auf Nachfrage noch kürzlich erklärt habe, er sei in die 11. Klasse mit passablen Noten versetzt worden, was ihn als Vater mit Stolz erfüllt habe. Was sein Sohn jetzt mache? Er lebe seit Monaten nicht mehr bei seiner Mutter, sondern -ebenfalls in B- in einer eigenen Wohnung gemeinsam mit seiner Freundin. Nein, sein Sohn arbeite nicht; ein solches Lotterleben könne und wolle er nicht unterstützen. Der Sohn solle schaffen gehen oder sonst wie seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Er fühle sich dabei nicht mehr angesprochen. Auf Nachfrage wird Ihnen schließlich erklärt, es bestehe nach wie vor die gemeinsame elterliche Sorge. Mit seiner Ex, die gut verdiene, gebe es aber nur Zoff. Da sei eine Verständigung ausgeschlossen.
Während Sie Ihrem Mandanten so zuhören, versuchen Sie so gut es geht ihre Gedanken zu sortieren. Was Ihnen in den Sinn kommt ist vielleicht die „Prozeßstandschaft“: Sie fragen sich auch dann, wenn Sie mit § 1629 BGB immer schon auf Kriegsfuß gestanden haben, ob diese noch bestehe, weil der Sohn doch nicht mehr bei der Mutter, sondern mit der Freundin in einem eigenen Haushalt lebt, denken möglicherweise hierbei an die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO), aber auch daran, dass Sie für eine 0,5 Erinnerungsgebühr viel schreiben müssen. Sie vergegenwärtigen sich aber auch, dass der Sohn des Mandanten bald volljährig wird: Sie fragen sich, ob § 798a ZPO einschlägig ist -der Mandant hat den Titel natürlich nicht bei sich- und erinnern sich vielleicht noch an die  Entscheidung des OLG Hamm, das behauptete, ein volljährig gewordenes Kind könne aus einem Titel über Minderjährigenunterhalt nichts mehr herleiten und müsse (neu) Leistungsklage erheben. Das wäre Ihnen eigentlich am liebsten, sind sich aber unsicher, ob Ihr OLG das auch so sieht. Dann kommt Ihnen (weil doch der Mandant über die Ausbildungssituation des Sohnes getäuscht wurde) der Aspekt der  „Verwirkung“ -hat der doch irgendetwas mit der „Vollstreckungsgegenklage“ zu tun- ebenso in den Sinn  wie der Aspekt der „Erwerbsobliegenheit“ (hatte nicht das OLG Brandenburg entschieden, dass selbst ein 15jähriges Kind, das an keiner Ausbildung teilnehme, im Verhältnis zu seinen Eltern eine Erwerbsobliegenheit treffe?).  In diesem Zusammenhang denken Sie an die „Abänderungsklage“, aber auch deshalb, weil -worauf der Mandant wiederholt hinwies- sich die gut verdienende Ex demnächst am Volljährigenunterhalt des Sohnes doch bitte beteiligen soll.

Nach diesem „Brainstorming“ wenden Sie sich wieder dem Mandanten zu, der Ihnen vermittelt, dass ihm der Schuh am ehesten beim gepfändeten Gehalt drückt. Sein Chef sei ungehalten, weil Vollstreckungsmaßnahmen, die sich auch gegen die Firma richteten, unerwünscht seien. Sie legen deshalb gegen den PÜB umgehend Erinnerung ein und haben Glück: Das Vollstreckungsgericht in C (§§ 764, 809 ZPO) folgt Ihrer Ansicht, der Auszug des Sohnes aus dem mütterlichen Haushalt und der Einzug in  eine eigene Wohnung mit der Freundin seien nicht bloß vorübergehender Natur, so dass die Prozeßstandschaft damit beendet sei; wer auch immer, so das Vollstreckungsgericht, einen PÜB auf Gläubigerseite erwirken könne, die Kindesmutter allein sei hierzu jedenfalls nicht berechtigt.

Nach diesem vielleicht ein wenig vergnüglichen Präludium, dem bekanntermaßen seit Johann Sebastian Bach die strengere Form der Fuge folgt, wird es aber für Sie langsam ernst. Denn nach wie vor ist der Titel in der Welt und es steht zu befürchten, dass die Ex Ihres Mandanten - wie Ihnen glaubhaft vermittelt - keine Ruhe geben und es bei der Aufhebung des PÜB nicht sein Bewenden lassen wird. Dann aber würde sich die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nur als die „halbe Miete“ erweisen, so dass Sie nicht umhin kommen, sich der Frage zuzuwenden, wie sie gegen den Titel selbst vorgehen und -in Zusammenhang damit- bei welchem Gericht sie klagen sollen.

In Betracht kommen für Sie richtigerweise eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO, die beim Amtsgericht B zu erheben wäre (Wohnsitzgericht, denn bei einer Klage nach § 323 ZPO gelten die allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen der §§ 12 ff. ZPO), vielleicht aber auch eine Vollstreckungsgegenklage, die beim Amtsgericht in F anhängig zu machen wäre, wie sich aus der Zuständigkeitsregelung des § 767 Abs. 1 ZPO („Prozessgericht“) ergibt.

Das Wissen um beide Klagearten hilft aber nicht so richtig weiter. Vielmehr macht der Ihnen unterbreitete Sachverhalt es erforderlich, dass Sie diesen der einen oder anderen Klageart zuordnen und sodann die Frage beantworten, für welche Klage Sie sich entscheiden wollen. Die Ihnen in den Sinn gekommene Überlegung, eine Abänderungsklage in B und eine Vollstreckungsgegenklage in F einzureichen, denken Sie nicht ernsthaft weiter, denn dem Mandanten wäre nun wahrlich nicht zu vermitteln, dass er alles doppelt bezahlen soll, nur weil Sie sich nicht festlegen können, wo Sie welche Klage erheben sollen. 

Ihnen bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit der Abgrenzung der Abänderungsklage von der Vollstreckungsgegenklage zu beschäftigen und stellen fest, dass die aus einer Reihe von Gründen notwendige Abgrenzungsfrage bislang keiner abschließenden Klärung zugeführt wurde.

Dr. Eberhard Jüdt

DE, Neuwied

Breit & Jüdt

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